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Tagebuch für Sara

Tagebuch für Sara

Chronik der Vereinigung Deutschlands 1988-1992 in Dresden


Das Buchprojekt mit dem Arbeitstitel TAGEBUCH FÜR SARA ist eine im Jahr 1988 beginnende Chronik der Vereinigung Deutschlands unter dem Blickwinkel, wie sich die Veränderungen innerhalb des Gesellschaftsgefüges der ehemaligen DDR im Alltagsleben der Menschen wiederspiegeln. Als im Herbst 1988 meine jüngste Enkeltochter geboren wurde und ich beschloss, für sie ein Tagebuch zu schreiben, ahnte ich nicht, in welch bewegte Zeit das Kind hineinwachsen würde. Mein Anliegen war damals, die ersten Lebensjahre eines Menschen in seiner Zeit festzuhalten; gewissermaßen den Beginn eines Lebens im Rahmen vieler Leben und das vor dem Hintergrund eines Landes, in dem sich wichtige Veränderungen erst vorbereiteten - und später dann auch vollzogen.



Der historische Spannungsbogen beginnt im ersten Teil des Buchmanuskriptes mit jener durch Gorbatschows Perestroika-Politik hervorgerufenen Forderung breitester Kreise der Bevölkerung der DDR, sich auch bei uns zu „Glasnost“ und „Perestroika“ zu bekennen, und das im Oktober 1988, also ein Jahr vor der tatsächlichen Wende. Darauf folgt im November 1988 das Verbot der sowjetischen Zeitschrift SPUTNIK, die ausführlich wie kein anderes Presseorgan Bürgern der DDR die Vorhaben Gorbatschows nahe brachte. Der Spannungsbogen des ersten Teils des Manuskriptes über die Jahre 1988/89 endet mit dem Konzert Bernsteins in Berlin, mit seinen bewegenden Worten: „Ich lebe einen historischen Moment ... unvergleichlich in meinem langen, langen Leben ... zum ersten Mal habe ich wirklich die Botschaft „Alle Menschen werden Brüder „ vernommen.“

Im zweiten Teil des Manuskriptes - die Jahre 1990/91 - steht als Ausgangspunkt der Sieg der friedlichen Revolution - mit allem Positiven und den schon sichtbar werdenden Gefährdungen. Er endet mit der Vereinigung Deutschlands, und das alles in der Widerspiegelung im Alltagsleben eines verschwindenden Landes. Verbunden mit den Geschehnissen in der DDR, speziell in Dresden, auch die Entwicklung der anderen ehemals sozialistischen Länder, vor allem der Sowjetunion.

Leseprobe


SARA - 11. Oktober 1988

Winterlich kalte Luft. Nieselregen. Hinter den Scheiben der Straßenbahn zerfließende Lichter. Menschen steigen ein, steigen aus. Ein Kind setzt sich zu mir. In die Stadt will es, auf den Rummel am Dresdner Fucikplatz. Ich wende mich ihm zu: kurzes Haar über einem offenen, etwas groben Gesicht. 
„Du darfst das?“
Vater habe Spätschicht, Mutter wohne nicht bei ihnen, niemand merke es, antwortet das Kind.
„Glaubst du, es ist deinem Vater recht, wenn sein Junge abends allein auf den Rummel geht?“
„Ich bin ein Mädchen!“ erwidert die Kleine ernst.
„Da würde ich mir aber Sorgen machen, wenn mein Mädchen abends allein auf den Rummel ginge!“ sage ich.
Das Kind schweigt eine Weile, fragt dann: „Und wo ist dein Mädchen jetzt?“
„Im Krankenhaus.“
„Ist sie krank?“
„Sie hat heute ein kleines Mädchen geboren. Und das sehe ich mir jetzt an!“
Das Kind lächelt. Menschen steigen ein, steigen aus. Das Kind erhebt sich. „Ich werde doch lieber nach Hause gehen“, sagt es. „Und das kleine Mädchen, wie heißt das?“

Sara liegt vor mir, winzig, mit viel Haar, wirrem, dunklem Haar. Geschlossen das Gesichtchen, selbstbewusst. Sie seufzt im Schlaf, bewegt kaum merklich die filigranen Fingerchen. Kommen und Gehen - wie ähnlich, staune ich. Sehe Oma-Elisabeths Finger, wie sie, kaum merklich noch, über die Bettdecke tasteten, als sie schon nicht mehr bei uns war. Sehe, eine ältere Schwester auf mich zu eilen, fühle, sie umarmt mich; - sie müsse unbedingt mit mir sprechen, sie kenne Mirjams Vater Amiruddin, war das ein lieber Mensch, ihr Mann habe mit ihm in einem Zimmer des Studentenheimes gewohnt, drei Jahre hätten sie sich noch geschrieben, dann kam keine Antwort mehr. „Wie geht es ihm?“
„Wir wissen es nicht.“
„Kommen Sie!“ Die Frau fasst mich an den Schultern. „Sie wollen doch sicher Mirjam sehen! Besuchen dürfen Sie sie allerdings erst in vier Tagen!“
Mirjam, in einem Zimmer allein, von Geräten umgeben. Im Gang stehend, winke ich ihr. Mirjam, sehr schön, sehr müde.

Mit einer Flasche Sekt gehe ich zu einem befreundeten Paar, das gleich nebenan wohnt. Der rotblonde Fred, Philosophiedozent, hat Mirjam heute morgen mit dem Auto zur Klinik gefahren. Während mir Laura Kaffee und selbstgebackenen Kuchen bringt, legt Fred eine Kassette in den Recorder. Wir hören, leicht verfremdet, Freds Stimme. Wir sprächen, sagt er, von der heutigen Welt als einer Welt tiefer Umbrüche. Das träfe ohne Einschränkung auch auf den Sozialismus zu. Und er zitiert den neuen Kulturminister, der auf einer Konferenz des Verbandes Bildender Künstler in Dresden gesagt habe: Der Sozialismus sei an einem Punkt angekommen, wo über seine weitere Perspektive nachgedacht werden müsse.
„Wie sieht Sara aus?“ flüstert Laura.
„Die Schwestern sagen, sehr hübsch! Mir jedoch scheint, Sara hat etwas übelgenommen. Vielleicht, dass man sie holte, ehe sie sich entschlossen hatte zu kommen. Sie ruht noch ganz in sich.“
Fred nimmt den Recorder, grinst wie ein Bengel und geht ins Nebenzimmer.


HUMANITÄRER AKT - 3.– 4. Oktober 1989

Heute soll der HUMANITÄRE AKT, die Ausreise aller DDR-Bürger, die in die Prager Botschaft der BRD flohen, vonstatten gehen. Gestern Abend verkündete unsere Nachrichtensendung AKTUELLE KAMERA: Fünf Züge der Deutschen Reichsbahn würden jene, die sich selbst aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt hätten, über das Gebiet der DDR nach der BRD bringen. In der DDR werde man ihnen die Personalausweise abnehmen. Die Züge würden über Dresden fahren. Ich hörte es mit Beklommenheit. Morgens im Fernsehen die gleichen Bilder wie in den letzten Wochen: Menschen erklettern den Metallzaun der BRD-Botschaft in Prag. Kinder werden hinübergereicht. Wir erfahren, während wir Sara füttern, auf den Topf setzen, windeln, dass die Flüchtlinge - etwa 5000 unterdessen - schon die ganze Nacht auf die Züge gewartet hätten.
Ich bringe Sara zur Kinderkrippe. Täglich drei Stunden soll sie sich an die Krippe gewöhnen, in die sie von ihrem ersten Geburtstag an gehen wird. Die Schwestern meinen, Sara sei ein fröhliches Gemüt, sei die einzige, die nie weine.

Nachmittags im Malzirkel fragt Adrian, der Vierzehnjährige, ob ich es wisse: Seit heute morgen würden Menschen auf dem Dresdner Hauptbahnhof auf die Züge aus Prag warten, um aufzuspringen. Ich sorge mich um meine Tochter Babett. Sie ist heute früh mit ihrer Brigade zu einer Wanderung ins Erzgebirge gefahren. Mirjam, die von der Pädagogischen Hochschule nach Hause kommt, befrage ich nach der Lage in der Stadt. Sie weiß nichts, sagt, ihre Leute von der Pädagogischen Hochschule wären zum Hauptbahnhof gefahren, um informiert zu sein, da man ja in den Nachrichten nichts erführe. Am liebsten wäre sie mit ihnen gegangen, doch dann hätte sie Sara nur noch schlafend gesehen.
Nachts ruft meine Babett an: Sie befänden sich am Hauptbahnhof und kämen in einer Viertelstunde zu uns. Babett und ihr Lebenspartner Eberhard wirken verstört. Babett erzählt, als sie von der Brigadewanderung zurückkamen, wäre der Hauptbahnhof schon abgesperrt gewesen, wegen der zu erwartenden Züge aus Prag. Sie habe Eberhard überredet, abends, nachdem die Kinder eingeschlafen waren, noch einmal zum Hauptbahnhof zu fahren. „Mutsch! Dort haben Panzer gestanden! Leute haben mit Pflastersteinen geworfen! Die Polizei ist mit Wasserwerfern gekommen, ein Polizeiauto hat gebrannt! Und die Leute im Bahnhof, die Eingeschlossenen, das waren keine Rowdys, die dort demonstriert haben! Das waren viele in deinem Alter, gutangezogene Leute! Und ein Lautsprecherwagen ist herumgefahren und hat verkündet: wer aus der DDR ausreisen will, kann sofort zur Abteilung Inneres gehen und die Ausreisegenehmigung erhalten!“ Eberhard war gegangen, um sich zu überzeugen, ob das wahr wäre. Man wollte, so erzählt er nun, ihm gleich den Ausreisestempel geben. Babett kam alles zu plötzlich.
Während der Nacht höre ich stündlich Nachrichten der verschiedenen Sender. Drei Uhr morgens erfahre ich von einem Westsender, die Züge wären immer noch nicht in der BRD angekommen. Ich liege und höre Musik. Höre auch - der Bahndamm für die Strecke nach Prag ist nicht weit entfernt von uns - das Geräusch rollender Züge. Sind sie es? Was werden die Leute im Hauptbahnhof tun, die eingeschlossen sind? Ich bin voller Unruhe. Auch um vier Uhr morgens sind die Züge noch nicht eingetroffen. Sie wurden aufgehalten, sagt man. Wo? Warum? Ich schlafe bis halb sechs. In unseren Nachrichten spricht man von „rowdyhaften Ausschreitungen am Hauptbahnhof“. Keinerlei Informationen. Um sieben Uhr erleben wir im Frühstücksfernsehen die Ankunft des ersten Zuges in Hof. Tränen in den Augen, taumeln die Menschen aus den Waggons, fallen sich in die Arme, schluchzen und jubeln. Man reicht ihnen Getränke, Suppe, Kleidung und Windeln. Einer der Angekommenen wird gefragt, warum der Zug erst jetzt käme. Er sagt, die Züge hätten vor Dresden eineinhalb Stunden gestanden. Ob in Dresden Leute aufgesprungen wären? Der Gefragte hat nichts bemerkt. Zwischenfälle? Der Mann schüttelt den Kopf: Nein, keine Zwischenfälle im Freedom-Express.


HISTORISCHE NACHT - 10. November 1989

Zeitig, um vier Uhr morgens, klingelt unser Wecker. Mirjam will mit dem Frühzug nach Berlin, um sich neue Kontaktlinsen anfertigen zu lassen, da so etwas in Dresden noch nicht möglich ist. Gegen 6 Uhr schalte ich den Fernseher ein. Bilder, noch ehe die Nachrichten beginnen: Menschen jubeln, Volksfeste überall, „Das ist ein Tag, der in die Geschichte eingehen wird!“ Am 13. August 1961 habe man die Berliner Mauer erbaut! Bis heute Nacht habe diese 165 Kilometer lange Mauer bestanden! Und wieder Bilder: TRABIS auf dem Kurfürstendamm. Eine Frau sagt: „Wir wollen nur schnell ein Bier trinken gehen nach Westberlin! Das machen wir jetzt öfter so! Danach gehen wir wieder ins Bett!“
Westberliner brechen Stücke der Mauer heraus. „Als Souvenir“, erklären sie. Feiernde Menschen auf Straßen und Plätzen, man singt und schwenkt Fahnen. Der Nachrichtensprecher meint: Er habe diese Bilder nun schon einige Male gesehen, doch erzeugten sie bei ihm jedes Mal eine Gänsehaut. Angefangen habe alles mit einer Pressekonferenz am gestrigen Abend, als Schabowski verkündet habe, usw., usw..
Pärchen tanzen rund ums Brandenburger Tor. Jemand ruft begeistert: „Die Hölle ist los!“ Leuchtraketen steigen in den Himmel, Sektkorken knallen. Und wieder TRABIS auf den nächtlichen Straßen von Westberlin. Dann ein Transportfahrzeug aus der DDR, es hat einen Skoda aufgeladen und fährt langsam über den Kurfürstendamm. Sie seien aus Thüringen, sagen die Fahrer dem Reporter, sie sollten den Skoda aus Berlin abholen, da hätten sie von der Maueröffnung gehört. Das wollten sie sich einmal ansehen, danach führen sie mit dem Skoda nach Thüringen zurück. „Das ist Wahnsinn!“ sagt einer. Sagen viele mit Tränen in den Augen.

Während ich zu fassen versuche, was ich sehe, hat sich Sara einige Papiertaschentücher genommen und zerrupft sie und tanzt auf den Flocken herum; die Tanzenden im Fernseher regen sie an.
Der Nachrichtensprecher sagt: Kanzler Kohl werde voraussichtlich seinen Polenbesuch abbrechen, um sofort mit Modrow und Krenz zu sprechen. Präsident Bush begrüße hocherfreut die Öffnung der Mauer, der französische Außenminister sende Glückwünsche. London spreche von einem längst notwendigen Schritt. Der „eiserne Vorhang“ breche nun, nachdem Ungarn im Mai dieses Jahres den Grenzzaun zu Österreich abgebaut hätte.
Interviews: Frau Däubler-Glemin. Sie sei im Bundestag dabei gewesen, als es bekannt wurde, sagt sie. Zuerst habe man es nicht geglaubt. Sie habe neben Willi Brandt gesessen, er habe Tränen in den Augen gehabt. Dr. Barzel: Obwohl vierzig Jahre in der Politik tätig, habe er nie das Gefühl gehabt, einen historischen Moment zu erleben. Heute sei einer. Aber der Aufbruch könne scheitern, wenn sie im Westen der Sache nicht gewachsen wären, meint der Mann. Sie im Westen müssten alle tief in die Tasche greifen, und wenn es eine „Obhutspflicht“ gebe, dann für jene Menschen, die in der DDR geblieben seien, die sich gewaltfrei ein Stück Menschlichkeit erkämpft hätten. „Sie sind uns Vorbild an Zuversicht und Courage!“ Keinerlei Bevormundung seitens des Westens dürfe es für sie geben.
Und wieder Bilder: Eine Frau meines Alters: „Ich kann’s nicht glauben! Wahnsinn! Mir ist ganz schlecht!“
Nachts in der DDR: Neue Übergangsstellen werden geöffnet. Ein Westjournalist sagt: „Die Leute fallen sich in die Arme, weinen. So etwas habe ich noch nie erlebt! Ich bin dann rüber in die DDR, wollte wissen, wie ist die Stimmung dort!“
Nun Bilder vom Brandenburger Tor, nachts vier Uhr. Leute mit Fahrrädern und Skateboards. Wieder sagt jemand: „Also, das ist einfach Wahnsinn!“ Jüngere Menschen halten ältere, stützen sie. Trommeln, Transparente: WILLKOMMEN IN WESTBERLIN!
Eine Physiotherapeutin aus dem Osten Berlins: Heute Nacht zwei Uhr habe man die Öffnung der Mauer im Fernsehen übertragen. Da habe sie sich angezogen und sei auf die Straße gegangen, Mit Schwarztaxi zur Invalidenstraße, erzählt sie, dort rüber. Sie war noch nie in Westberlin; man habe sie gleich eingeladen zu einer Stadtrundfahrt in einem kleinen Bus! Mitten in der Nacht sei sie durch Westberlin gefahren, sie habe weder etwas gegessen, noch getrunken, sie bringe keinen Bissen hinunter!
Ein Buchhändler mit seinem Freund: Auch sie beide hätten sich nachts angekleidet und wären nach Westberlin gegangen. Unbehelligt, sagen sie. Der Grenzübergang sei zwar wie immer besetzt gewesen - „die Herren dort waren schon präsent“, drückt sich der eine aus. „Doch sie störten nicht im geringsten“, fügt der andere hinzu, „sie hatten gewissermaßen nur Wegweiserfunktion!“ Es sei doch eine ungemein kreative Zeit augenblicklich, meinen beide. „Gehen Sie wieder zurück?“ fragt man. „Ja, natürlich!“
Graf Lambsdorf: Er neige nicht zu Emotionen, doch er könne seine Bewegung nicht verbergen. Es müsse jemand aus Stein sein, wenn er sich von dem Geschehen nicht anrühren ließe. Er spricht vom wirtschaftlichen Ungleichgewicht. Man müsse einen kühlen Kopf behalten und klären, was sie tun könnten und was die DDR tun müsse. Er vergleicht, in bezug auf das sogenannte „Wirtschaftswunder BRD“: Die BRD habe Helfer gehabt dafür; für die DDR müsse das nun die BRD sein, sie müsse mit öffentlichen Krediten auftreten, auch privates Kapital müsse Möglichkeiten finden, um einzusteigen. Dann könne man sicher in wenigen Jahren ein zweites „Wirtschaftswunder“ erleben. Auch er spricht von einer „historischen Nacht“. Sie sei unser politisches Weihnachten.

Nachrichten, 13 Uhr: Bundeskanzler Kohl, augenblicklich auf einer Reise durch Polen, würde noch heute in die BRD zu einer Sondersitzung des Kabinetts kommen, danach führe er nach Polen zurück. Westberlin sei auf einen Massenansturm am Wochenende vorbereitet, DDR-Bürger dürften mit Personalausweis nach Westberlin. Der Oberbürgermeister von Westberlin, Herr Momper: „Das deutsche Volk war in der vergangenen Nacht das glücklichste Volk der Welt!“
RTL, 16 Uhr, die Übergangsstelle Sonnenallee. Ein Polizist mit einer Blume am Revers: Seit zwei Uhr nachts stehe er hier. Eine Gruppe Männer in Arbeitskleidung kommt ins Bild, einer schleppt eine riesige Palme. „Wir sind eine Brigade“, erklärt ein anderer, „wollten vor der Schicht mal kurz rüber! Jetzt geht’s zurück an die Arbeit!“
Eine alte Frau: „Meine Freundin hat mich angerufen, da war ich schon im Nachthemd. Wir haben uns getroffen und sind rüber! Sehen Sie“ - sie öffnet ein wenig den Mantel - , „ich habe das Nachthemd noch drunter!“
Bilder: Jemand hebt einen Kinderwagen über die Menschenmenge. Jemand legt Blumen auf ein Grab.
RTL am Abend: Westberlin stehe seit 20 Stunden Kopf! Es sei das größte Ereignis dieses Jahrhunderts! Ein Mann, ein Glas Sekt in der Hand, sagt: „Ick muss mer immer kneifen! Ick hab gedacht, ick muss noch 35 Jahre warten bis zur Rente!“
DDR-Männer am Sex-Shop: Man fragt, warum sie gerade hier stünden. Verlegenes Lächeln. Politessen verteilen Stadtpläne an DDR-Bürger. Einer erzählt, er sei nachts um zwölf Uhr rüber, staunt: „Die Leute hier sind extra aufgestanden, um uns zu empfangen! Jemand hat mir eine Flasche Wein geschenkt, einfach so!“ Die Berliner Schulkinder haben am heutigen Tage schulfrei, sie sollen Geschichte hautnah erleben!

Mirjam kommt von Berlin mit einer weißen Nelke in der Hand. Heute Morgen hat sie in Berlin die Blume von einem fremden Mann geschenkt bekommen. Im Westen war Mirjam nicht, sie konnte ja nichts sehen, verbrachte den „historischen Tag“ beim Optiker, der ihre Kontaktlinsen testen musste.

Presse


TAGEBUCH FÜR SARA (Auszüge)
Liebe KURIER-Leser, anlässlich unseres einjährigen Bestehens im November des vergangenen Jahres erhielten wir von Ihnen vielfältige Anregungen zur Gestaltung unserer Zeitung. Dazu gehörte auch der mehrfach geäußerte Wunsch nach einer Art Fortsetzungsroman. Ein guter Vorschlag, der sich jedoch gar nicht so leicht verwirklichen ließ. Was sollten wir für unseren weit über eine halbe Million zählenden und alle Altersgruppen umfassenden Leserkreis auswählen? Welche Thematik? Welches Genre? Bei unserer Suche kamen wir auch mit der in Dresden Prohlis lebenden Künstlerin Aini Teufel ins Gespräch. Sie griff den Vorschlag auf und übergab uns ihr „Tagebuch für Sara“.
DRESDNER STADTKURIER – Januar 1992

EINE LIEBENSWERTE FRAU
Als Aini Teufel ihr Studium beendet hatte, erhielt sie einen Werksvertrag mit der „Gardine“ in Dobritz. Sie war eine kleine, zierliche Person, und als ich sie einmal mit zu einer Betriebsversammlung nahm, wurde ich gefragt, seit wann Kinder mit in Versammlungen kommen. Aini hatte uns seinerzeit – es war zwischen 1959 und 1963 – einen Wandfries gemalt, auf welchem sich Kinder aller Rassen wie in einem Reigen die Hände reichten. Es war für sie nicht einfach, in unserem Betrieb Fuß zu fassen, und ich glaube, ich habe ihr damals ein wenig dabei geholfen. Aini war eine ganz bescheidene, liebenswerte Frau, und ich freue mich, dass ihr Tagebuch durch den Kurier so viele Menschen erreicht.
Leserstimmen zur Serie von Aini Teufel
Beitrag von Käthe John, 8021 Dresden

HOCHINTERESSANT
Ich bin mit meinen 80 Jahren eine alte Frau und recht einsam. Umso glücklicher bin ich, im Kurier die hochinteressante und feinsinnige Darstellung von Aini Teufel für ihre Enkelin Sara zu lesen. Für das Tagebuch möchte ich mich bei der Autorin herzlich bedanken. Ich erwarte die nächsten Fortsetzungen schon ungeduldig.
Leserstimmen zur Serie von Aini Teufel
Beitrag von Margarete Julius, 8021 Dresden

HOFFNUNG FÜR DIE ZUKUNFT
Das bewegende Zeitdokument aus der Sicht der schreibenden Malerin und Grafikerin Aini Teufel berührt uns Leser schon deshalb, weil es in ähnlicher Weise viele Menschen in den neuen Bundesländern ebenso ergangen ist. Doch während wir älteren Bürger ein weiteres Mal durch ein wirtschaftliches und soziales Nadelöhr gehen müssen, wird für unsere Jugend, somit auch für das Enkelkind Sara, bereits eine hoffnungsträchtige Zukunft sichtbar. Das „Tagebuch für Sara“ erinnert daran, dass ein langer und beschwerlicher Weg gegangen werden musste, bis es endlich heißen konnte: „Deutschland, einig Vaterland“!“
Leserstimmen zur Serie von Aini Teufel
Beitrag von Sonja Bauch, Radebeul