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Erdmunth von Zinzendorf

Herrnhuterinnen – eine Einführung




Leseprobe
Missionsdienst in anderen Ländern, anderen Kontinenten verlangte Frauen wie Männern in vielen Bereichen Gleiches ab. Auch in die Wandlung des Missionsgedankens, der anfangs - aus naiver Intoleranz heraus - mit einer Verteufelung der religiösen Traditionen wie auch der Kultur der Missionsgebiete verbunden war, später über Beobachtungen zu Aufzeichnungen bis zu weltweit anerkannten Forschungsergebnissen führte, waren Frauen wie Männer gleichermaßen einbezogen. Und betrachtet man die zumeist selbstgeschriebenen Lebensläufe der Herrnhuterinnen wie auch der Herrnhuter, wird deutlich, dass die Lebens-Strukturen beider durch feste Gesetze ihres pietistischen Glaubens bestimmt wurden.

Als bedeutungsvoll einzuschätzen ist dabei der „Ruf“, der an Herrnhuter Brüder wie Schwestern erging und sie von Herrnhut fort und weit hinaus in die Welt brachte, „Ruf“, der von innen kommen konnte, aber auch von außen, von der Brüder-Gemeine. „Welt-Weite“ erleben zu dürfen, war den zum Missionsdienst „gerufenen“ Brüdern und Schwestern sicher ein Vorzug vor anderen Menschen ihrer Zeit, auch wenn dieser sich oft als lebensbedrohlich, nicht selten als tödlich erwies. Man findet in den Lebensläufen der Herrnhuterinnen neben innigstem Verbundensein mit ihrem geliebten Heiland, dem „Lamme“, bei der Schilderung der Lebensumstände schon etwas von dem beglückenden Welt-in-sich-Nehmen. Gewiss ist, dass Welterfahrung die Missionarsfrauen prägte. Sie wussten auszudrücken, was sie empfanden, dachten, wünschten, beobachteten, auch waren sie imstande, sich innerhalb ihrer Grenzen kritisch zu sehen wie zu akzeptieren.

Obwohl von Kindheit an mit der Lehre der Pietisten und dem „Ruf in die Welt“ vertraut, geriet manche der Herrnhuterinnen bei jenem einen „Ruf“, der ihnen einen Lebenspartner vorschrieb, in innerliche Bedrängnis. Es fiel den Frauen vermutlich schwerer als den Männern, die Ehe-Theorie des Grafen von Zinzendorf, der das väterliche Haupt der Herrnhuter darstellte - Vorsteher der Herrnhuter Brüdergemeine, später zum Bischof geweiht -, zu leben. Dieser Theorie nach handelte es sich beim leiblichen Ehegatten einer Herrnhuterin ohnehin nur um einen Vicemann, sozusagen um den Stellvertreter des Heilandes auf Erden, denn der Heiland selbst war ja der eigentliche Ehemann einer jeden Schwester. Erstaunlich, wie eng zuweilen die solcherart von außen Zusammengegebenen dennoch innerlich zueinander fanden.

Den besonderen „Umständen“ im Lebens-Verlauf der Missionarsfrauen nachgehen zu wollen, bedeutet, in deren Kindheit zu beginnen. Die ersten herrnhutischen Missionarsfrauen hatten, der Eltern wegen, die man ihres Glaubens wegen im frühen 18. Jahrhundert als Ketzer verfolgte, im Kindesalter bereits die Flucht aus Mähren und Böhmen erlebt. Spätere Missionarsfrauen entstammten oft Missionarsfamilien, waren in Missionsstationen aufgewachsen und im Alter von 6 Jahren in eine ihnen unbekannte Heimat Deutschland, zuweilen zu ihnen unbekannten leiblichen Geschwistern gesandt worden. Ihre Kindheit hatten sie dann in einer der herrnhutischen Kinderanstalten verbracht, wo sie neben der Erziehung im herrnhutischen Sinne auch eine Ausbildung erhielten. Kaum erwachsen geworden, erging an manche von ihnen der „Ruf“, einen Missionar, meist einen für sie fremden Mann, zu ehelichen, und mit ihm fort in ein unbekanntes Land zu ziehen, um dort eine Missionsstation zu errichten. Sprachkenntnisse, dieses Land betreffend, waren ihnen nicht vermittelt worden, auch fehlte es zumeist an Geld, sich dort aufs Nötigste einzurichten. Dennoch nahmen Frauen wie Männer die „Rufe“ der Brüdergemeine an und begaben sich auf die Reise ins Unbekannte. Manche der Missionarsfamilien waren, beauftragt von der Heimat-Gemeine, lebenslang auf Reisen, von einer Station zur anderen, und das unter schwierigsten Reise-Bedingungen. Der Brüder-Gemeine in Herrnhut war es verständlicherweise nicht möglich, die mit den Umsiedlungen der Missionarsfamilien besonders für Frauen und Kinder verbundenen Strapazen einschätzen zu können.

Wie reiste man eigentlich damals? Machen wir uns ein wenig mit den Reise-Umständen damaliger Zeiten bekannt. Man reiste um 1732, als die ersten Herrnhuter Missionare nach Westindien fuhren, mit Pferdekutschen zu Lande und mit Seglern zur See. Letzteres bedeutete, auf See von günstigem Winde abhängig zu sein, wochenlang, zuweilen monatelang auf diesen Fracht-Seglern auszuharren. Eine Missionarsfrau, unterwegs von Deutschland nach Westindien, gebar auf einem der Schiffe zwischen Fässern ihr Kind. Frauen reisten mit ihren Männern oder reisten ihnen nach in andere Länder, erfuhren bei Ankunft, daß ihre Männer verstorben waren und wurden mit einem anderen Missionar zusammengetan. Die Frau eines Grönlandmissionars, Anna Zacharias, deren Ehemann die Heimat-Gemeine für einige Zeit nach Deutschland zurückberufen hatte, reiste 1743 mit zwei kleinen Kindern auf abenteuerliche Weise ihrem Mann nach Herrnhut hinterher. Eine andere Missionarsfrau, Elisabeth Möser, deren Mann im Missionsdienst verstarb, war gezwungen, 1781 allein von Surinam nach Europa zurückzukehren, und kam - infolge des nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieges, von dem sie nichts gewusst hatte -, auf einem von Engländern gekaperten Schiff für mehrere Wochen in englische Gefangenschaft. Verständlich, dass bei dieser Art des Reisens die Gesundheit der Missionare und ihrer Familien äußerst gefährdet war.
           Gesundheitsgefährdend wirkten sich aber oft auch Klima, Ernährung und die Umstände des Wohnens für die Missionare und ihre Familien aus. Auf den westindischen Inseln, in Grönland, Surinam, Afrika, sogar im Himalaja hatte man Missionsstationen errichtet, und die Schwestern wie Brüder, noch mehr die Kinder, kränkelten zu vielen Zeiten, zumal eine medizinische Versorgung nur in seltenen Fällen gegeben war. Besonders litten darunter die schwangeren Frauen wie auch die kleinsten der Kinder, die häufig kurz nach der Geburt oder im Laufe ihres ersten Lebensjahres starben. Die Missionarsfamilien waren weder geschützt gegen Tropenkrankheiten in den „hitzigen Zonen“, noch gegen die „Höhenkrankheiten“ und „Halskrankheiten“ im Himalaja; - die Missionarsfamilie Heyde verlor im Himalaja vier ihrer Kinder. Doch auch zu Hause in Deutschland waren Frauen im Missionsdienst der Herrnhuter Brüdergemeine tätig, wurden - nebenbei - schwanger, gebaren - nebenbei - Kinder und verloren sie wieder. Aber das nicht nebenbei.

Genannt werden muss hier nun endlich eine Frau, ohne die die Historie der Herrnhuter Brüder-Gemeine eine andere, ohne deren Arbeit die Errichtung der Missionsstationen in aller Welt nicht möglich geworden wäre. Es ist Erdmuthe Gräfin von Zinzendorf, von der Geschichtsschreibung gegenüber ihrem Gatten, dem Grafen von Zinzendorf, als Persönlichkeit bislang völlig unterbewertet.
           Sie erwirtschaftete unter Aufbietung all ihres Wissens und ihrer Kräfte den größten Teil der zur Verwirklichung der „Reichsgottespläne“ ihres Ehemannes notwendigen Mittel. Die zarte Frau reiste in Missionsaufträgen unter schon erwähnten Reise-Umständen nach Holland, in die Schweiz, zur Königin von Dänemark, nach Riga und zur russischen Kaiserin nach Peterburg, wo sie - wie berichtet wird - nur knapp einer Arretierung entging. Stets versuchte sie, die eine selbstbewusste, kluge Frau war, diese ihre für das Missionswerk so wertvollen Eigenschaften mit den Vorstellungen des Gatten von einer demütigen Herrnhuterin in Einklang zu bringen, was nie ganz gelang. Auch sie, fast ständig in Pferdedroschken auf wochenlangen, zuweilen monatelangen Reisen unterwegs, gebar - doch wohl nebenbei, denn keiner der Männer nahm Rücksicht darauf - zwölf Kinder. Zuweilen, von einer Reise zurückgekommen, fand sie eins der Kinder nicht mehr vor. Neun ihrer Kinder starben, und bei ihrem Mann fand die Gräfin wenig Trost, waren die Kinder doch jetzt bei „Ihm“, in der „ewigen Freude“. Die Trauer des Vaters war eben eine andere als die einer Mutter.

Auch die Trennung der Missionarsfamilien von ihren sechsjährigen Kindern, die in diesem Alter von den Missionsstationen fort und nach Europa gebracht wurden, erlebten die Mütter gewiss schmerzvoller als die Väter; - und nicht allein, weil die Mütter eben diese Kinder geboren hatten, auch wohl, weil sie mehr Kinder als die noch Lebenden geboren hatten. Und jetzt gingen die Überlebenden fort von ihnen, unklar, ob sie sie je wiedersehen würden, denn Reisen in die Heimat waren nicht nur gefährlich, sie bedurften vor allem der Genehmigung seitens der Brüder-Gemeine, die nicht allen erteilt wurde.

Die Missionarsfrauen der „Herrnhuter“, meist nur nebenher erwähnt, dennoch nicht wegzudenken aus der Missionstätigkeit in anderen Ländern und Kontinenten, sind vielleicht sogar lebendigster Teil der Missionsgeschichte. Jede von ihnen war gezwungen, sich in nie gekannten Situationen zurechtzufinden, fremde Sprachen zu erlernen, oft unter primitivsten Bedingungen Frau zu sein und sich als Frau zu behaupten. Im Umgang mit den Frauen fremder Länder, die sie zu „Schwestern“ heranbilden und aus „Toten“ erwecken wollten zu „Lebenden“, waren sie von liebevoller Strenge, was die Missionierung betraf, und voller Einfühlungsvermögen und Offenheit, was allgemein-menschliche Problematiken anging. Sie gründeten - wie auch die „Schwestern“ in der Heimat - „Banden“ und hielten „Bandenversammlungen“, in denen jeder über jedes mit ihnen sprechen konnte. Bereiche, den Männern verschlossen, öffneten sich den Frauen. Durch sie wurde eine Idee für jene Menschen, die aus anderen Religionen und Kulturkreisen kamen, verständlicher, weil sie ins Allgemein-Menschliche eingebunden war. Denn Missionarsfrauen missionierten nicht nur, sie lebten, wie Frauen es überall auf der Welt taten, wurden schwanger, gebaren Kinder, sorgten sich um diese, sorgten sich deshalb auch um Kinder anderer und halfen nicht nur mit Worten, auch mit Tun, wie in Lebensläufen und Reisediarien nachzulesen ist. Schreibfreudig waren sie alle, die Herrnhuterinnen und Herrnhuter, und ihre Aufzeichnungen stellen für uns Reisen in vergangene Gedanken- und Gefühlswelten dar. Welten, geprägt von Enge und Weite, von damals erkannten und manchen, zwar aufgezeichneten, dennoch noch nicht erkannten Widersprüchen der Missionsarbeit der Herrnhuter Brüdergemeine.


Gräfin von Zinzendorf
Durch meine dreijährige Tätigkeit als Transkribentin am Staatlichen Museum für Völkerkunde Dresden - Forschungsprojekt der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT (Paläographische Transkription von Manuskripten aus dem 18. Jahrhundert im Archiv der EV Brüder-Unität Herrnhut - Oldendorp-Edition - und Übertragung auf elektronischen Datenträger) wurde ich mit Originalmaterial der Historie der Herrnhuter Brüder-Gemeine wie auch mit den für die Missionsgeschichte wichtigen Persönlichkeiten Gräfin Erdmuth Dorothea und Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf bekannt. ...mehr


Maria Heyde
Selbst einer Herrnhuter Missionarsfamilie entstammend, erhielt die einundzwanzigjährige Maria Elisabeth Hartmann im Februar 1859 den „Ruf“, ein Schreiben mit dem Signum der höchsten Brüder-Autorität, unterzeichnet vom Bischof und versehen mit dem Amtssiegel des Ältestenrates. Zu diesem Zeitpunkt war Maria Lehrerin des Schwesternhaus-Pensionates in Gnadenfrey/Schlesien. Sie wurde durch dieses Schreiben zur Braut des im Himalaja lebenden, zwölf Jahre älteren und ihr unbekannten Missionar Wilhelm Heyde bestimmt. ...mehr

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